In der Zeitschrift Christ in der Gegenwart Nr. 222/2009 stand ein Leserbrief, der zum Abschluss des Paulusjahres anmerkt:
„Man hatte mich in das Bamberger Priesterseminar zu einem Paulustag bei den jungen angehenden Theologiestudenten eingeladen. Ich sollte in die Rolle des Apostels Paulus schlüpfen, um befragt zu werden. Dies wurde zu einem anstrengenden, interessanten Versuch. Unvermeidlich kam die Frage:
Wie unterscheidet sich unsere Pastoralsituation von der der Pauluszeit?
Die Paulus- Antwort: Wir waren damals eine gläubig-optimistische Gemeinde. Immer wieder konnten wir neue, wenn auch nicht sehr große, Gemeinden gründen. Nie wurden Gemeinden zusammengelegt.
Wir konnten die Selbstständigkeit wahren. Aber in jeder Gemeinde haben wir Älteste, Männer oder Frauen, eingesetzt. Warum feiern wir ein Paulus-Jahr, lernen aber nicht vom Völkerapostel?“
Franz Müller, Nürnberg
Vor 2000 Jahren wurde Paulus, der sogenannte Völkerapostel, geboren. Unser Papst Benedikt XVI. hat ein Paulusjahr ausgerufen. In dieser Zeit sollen wir uns tiefer mit der Person des Paulus und seinen Briefen beschäftigen.
Auf dem Schalldeckel unserer Kanzel steht Paulus mit seinem Marterinstrument in der Hand. Durch Zufall entdeckte unser Mesner Georg Schmidt, dass zur Zeit des Festes Peter und Paul (29. Juni) die untergehende Sonne kurz nach 21.00 Uhr Paulus in ein goldenes Licht taucht. In wenigen Minuten ist das Schauspiel wieder vorbei.
Rom - Er hat die Christen gehasst und verfolgt: Doch dann hatte er eine Vision und wurde vom Saulus zum Paulus: ohne ihn wäre das: Christentum vielleicht eine jüdische Sekte geblieben und niemals in Europa angekommen. An Paulus von Tarsus kann und kommt niemand kirchlich vorbei. Kein Wunder also, dass sein Erbe umstritten ist. Die Katholiken reklamieren ihn ebenso für sich wie die Protestanten. Papst Benedikt hat 2008/09 ein Paulus-Jahr ausrufen - im Gedenken an die Geburt des Völkerapostels vor 2000 Jahren.
Paulus hat Jesus nie getroffen. Zum Glauben fand er erst nach dem Tod des Mannes aus Nazareth. Aber wie kein anderer hat er den Glauben der ersten Christen auf den Begriff gebracht und das Rätsel des Kreuzestodes Jesu zu deuten versucht. Etwa mit Sätzen wie diesem aus seinem Brief an die Gemeinde in Galatien im Jahr 56 - zu einer Zeit, als noch keines der vier Evangelien des Neuen Testaments geschrieben war: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit."
Freiheit - das ist für Paulus die Freiheit von der Angst, gegen das mosaische Gesetz zu verstoßen, die Freiheit von der Sünde und vom Tod. Weil Jesus für die Menschen gestorben und auferstanden sei, sei kein kultisches Schlachtopfer mehr nötig, um Gott mit den Menschen zu versöhnen. Das jüdische Gesetz mit seinen Ritualvorschriften und Reinheitsgeboten war für Paulus damit überwunden.
Für fromme Juden war das eine Provokation. Und das ausgerechnet von einem, der früher selber ein streng gläubiger Pharisäer war, ein rhetorisch geschulter Schriftgelehrter, der die Christen gehasst hat, weil sie den Tempelkult überflüssig machten. Doch Paulus hatte, wie die Apostelgeschichte berichtet, auf dem Weg nach Damaskus eine Christuserscheinung. Seitdem war ihm klar: Wenn es nach dem Gesetz geht, sind ohnehin alle Menschen verloren. Denn niemand kann alle Gesetze einhalten; kein Mensch ist ohne Sünde. Stärker ist für Paulus die Liebe Gottes, der sich der Sünder erbarmt.
Diese Theologie hatte Konsequenzen - und die hat auch Petrus zu spüren bekommen, der andere Anführer der frühen Kirche. Petrus neigte dazu, Rücksicht zu nehmen auf konservative Judenchristen, für die die jüdische Beschneidung und die Einhaltung von Speisevorschriften weiterhin wichtig waren. Ehemalige Heiden waren für sie - wenn überhaupt - nur Christen zweiter Klasse. Tischgemeinschaft mit ihnen war nicht möglich.
Muss man also erst Jude werden, bevor man Christ werden kann? Im Streit mit Petrus beharrte Paulus darauf, dass der Glaube die einzige Vorbedingung fürs Christsein ist und die Taufe die Beschneidung abgelöst hat. Am Ende einigten sie sich auf einen Kompromiss: Petrus blieb der „Fels“ der Urkirche in Jerusalem. Paulus aber durfte die Heidenvölker missionieren.
Petrus, der erste „Katholik“, der erste Papst, der die Einheit der Kirche repräsentiert.
Paulus, der erste „Protestant“, der die Rechtfertigung des Menschen allein aus Gottes Gnade verkündet. Die Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert scheint schon in der Urkirche angelegt zu sein. Bei allen großen Umbrüchen der Kirchengeschichte ging es immer auch um die rechte Auslegung der im Neuen Testament dokumentierten Paulusbriefe an Gemeinden wie in Korinth und Rom.
So entwickelte der Kirchenvater Augustinus im 5. Jahrhundert aus der Sündenlehre des Paulus eine Erbsündenlehre - mit verheerenden Folgen für die Menschen im Mittelalter mit ihrer verheerenden Höllenangst. 1100 Jahre später protestierte der Reformator Martin Luther unter Berufung auf den Römerbrief gegen den katholischen Glauben, sich durch gute Werke den Himmel verdienen zu können.
In der modernen Theologie hat Paulus auch viel Widerspruch erfahren - er provoziert immer noch. Seine Sühnopfertheologie sei mit dem von Jesus verkündeten Gott der Liebe nicht vereinbar, monieren Kritiker. Feministische Theologinnen werfen ihm frauenfeindliche Äußerungen vor.. .
Andere stoßen sich an seinem dogmatischen Eifer und sagen: Typisch für Konvertiten: sie gehen 150-prozentig zu Werke. Genau dies ist ihm auch zum Verhängnis geworden. Ungefähr im Jahr 58 wurde er in Jerusalem verhaftet, und nach Rom gebracht. Dort starb er der Überlieferung nach den Märtyrertod durch das Schwert.